Wissenswertes für Kurs-Teilnehmer und Interessierte

Sage

  1. Verhältnis zu Märchen u. Geschichte.

    2. Entstehung der Sage

    3. Wanderung und Weiterbildung.

    4. Die Arten der Sage

    5. Hauptformen der Sage, Erlebnis- und Helden-Sage

  • Verhältnis zu Märchen u. Geschichte.

  Nach Begriff und Sprachgebrauch ist Sage eine Erzählung mit einem starken Einschlag von sonderbaren und über die sinnliche Wirklichkeit hinausweisenden Begebenheiten, die jedoch in der Regel ihren Geschehensboden und unmittelbaren Ansatzpunkt in der nahe liegenden Lebenswirklichkeit oder in der Geschichte haben. Die Sage haftet daher mit ihren Motiven an bestimmter Örtlichkeit, meist in der Nähe ihrer Entstehung, spielt in bestimmter Zeit und hat zu Handlungsträgern meistens bestimmte Personen, und sie verfolgt nicht nur einen unterhaltenden Zweck, sondern den, zu belehren, mahnen, warnen oder zu erklären. Durch alles dies unterscheidet sich die Sage vom Märchen. Freilich ist die Charakteristik der Sage schwieriger als die des Märchens.

 Schon wegen der Mannigfaltigkeit der Arten von Sage innerhalb desselben Volkes bietet die Sage ein verwickelteres Problem dar. War man früher durch Beachtung einiger Motive dazu geführt worden, in der Sage offenbare sich am klarsten und tiefsten ein Sinnen und Sehnen des bestimmten einzelnen Volks, so sieht man heute, dass die verschiedenen in einer Sage zusammenlaufenden Motive gar keinen spezifischen Volkscharakter aufzeigen müssen und nur zum Teil aus ihm hergeleitet werden können. Man hat auch zu erwägen, dass viele Sagen nicht alt sind; heute gilt als Irrtum, spätere Geschlechter hätten bloss Sagenüberlieferungen aus grauer Vorzeit übernommen. Sie ist indessen auch nicht blosse Darbietung von Kuriositäten, wofür man sie Anfang des 19. Jh. hielt; sondern sie zeigt den lebensvollen Ausdruck von volkstümlicher Auffassung und Meisterung von Geschehnissen und Begebnissen überhaupt.
Das zu erkennen war möglich, seit die eigenartige Sagenliteratur Islands und Norwegens bekannt geworden ist und die Brüder Grimm die 2 Bände Deutsche Sagen (1816) herausgegeben haben. Von da an erblühte jene Sammler- und Forschertätigkeit in bezug auf die Sagen, die erlaubte, die unterscheidenden Merkmale der Sage gegenüber dem Märchen ins Auge zu fassen.

 

    Ist Sage dem  Wortsinn nach zunächst (ähnlich wie Märchen) eine auf mündlichem Wege weitergeleitete Kunde von etwas Vorgefallenem, so ist doch nicht jeder Bericht, jede Kunde, auch falls in fortgesetzten Überlieferungsstrom gebracht, Sage, sondern nur dann, wenn die Wiedergabe der (geschehenen oder erfundenen) Tatsache mittels der volkstümlichen Anschauung von unsinnlichen und unkontrollierbaren Mächten zu einer solchen Deutung übergeleitet wird, die eine leichte Anwendung auf ähnliche Situationen gestattet.

 

Denn eben hiermit weist die Sage ihren geringen Gehalt an lehrhaftem, mahnendem oder warnendem Gehalt auf, durch dessen Mitführung sie sich innerlich vom Märchen unterscheidet. Dies spielt in seinem eigenen von der grossen Welt unbestürmbaren Bereich und ist gegenüber der Ding- und Menschenwelt so gut wie land- und volk-, heimat- und zeitenlos; die Sage dagegen knüpft gern an bestimmte ªhistorische´ Ereignisse an, wenn es auch bei ihnen weniger auf genaue historische Umrissenheit als vielmehr auf das Typische, nicht auf die Einmaligkeit sondern auf die Vorbildlichkeit ankommt. Ja eine rein typologisch aussehende Erzählung wie die von den Schildbürgern oder die vom Eulenspiegel wird Sage dadurch, dass irgend etwas von historischem Ansatz oder Kern in ihr vorhanden ist, während wir sie, so derselbe ihr abgeht, nicht als Sage ansprechen sondern eher als Fabel.

 

    Daher verlangt die Sage in höherem Grade als das Märchen eine Zustimmung zur erzählten Geschehensverkettung; das Märchen unter Umständen eine Zustimmung zu der es tragenden weltanschaulichen Idee, zumal zu dem ethischen Ausgang. Zwar sind die Personen der Sage nicht viel mehr als die des Märchens handelnde. Weder Kaiser Rotbart noch Karl d. Gr. noch der Rodensteiner noch die Jungfrau vom Lorleifels handeln. Das Geschehen steht auch hier vor dem Handeln. Das geht so weit, dass die historischen Personen, wenn sie in den Sagenzusammenhang eingehen, aus dem wirklichen historischen Zusammenhang ihrer Taten gelöst, in der Hauptsache das örtliche Sein und Geschehen gleichsam dekorieren; eine für die Person des Kaisers belanglose Burggründung kann es sein, die im Mittelpunkt steht (vgl. Gründungssagen).

 

Wohl aber stellt die Sage die Handlung in irgend welche, wenn auch noch so lose, Verknüpftheit mit höheren, guten oder unguten, Kräften, die entweder dem Menschen gelegentlich zu Gebote stehen oder von aussen an ihn herantreten. Anders gesagt, die Tendenz zur Erzählung geschichtlicher Hergänge als solcher gehört nicht wesentlich zur Sage Die historischen Schlachthörner Karls d. Gr. mögen wie ein zeitgeschichtliches Kolorit erscheinen, das den Hörnern des Eibstieres beigegeben wird, während diese letzteren Hörner aus dem Gefüge der Wassersymbolik stammen.

 

Das natürliche Volk, das so gern dem Geheimnisvollen der Geschehnisse nachsinnt, enträtselt das Wunderbare durch eine eigene Symbolik, die es deutend an die Stelle des Historischen setzt. Der Glaube gegenüber dem Erzählungsstoff bezieht sich folgerecht auf den tiefsten Sinn des Wunderbaren darin und dahinter, während man den äusseren Begebenheiten grossenteils nur geringes Interesse entgegenbringt, wenn auch sicherlich nicht ein so geringes wie im Märchen. Denn die Könige und Prinzessinnen des letzteren bleiben am liebsten namen- und zeitlos; in der Sage ist es jedoch nicht ªein´ König, sondern der ganz bestimmte und bekannte, der als Held Inhaber überragender Kraft ist. Nur ist das in der Sage von ihm Erzählte nicht historisch, wenn es auch einem Charakterzug von ihm entsprechen mag. Die Tiere in den Tier-Sagen und die halbtierischen Wesen finden sich in der Sage wegen irgend welcher Eigenarten ihres Wesens, die eine Kunde aus anderer Weltdimension in sich schliessen; und dass es sich mit den Spuk-, Teufels- und Schatz-Sagen ähnlich verhält, braucht nicht erst nachgewiesen zu werden (s. Präanimismus).

 

    Daraus ergibt sich, dass die Sagen trotz ihrer Unbekümmertheit um historische Genauigkeit ein wichtiges Dokument der geistigen Entwicklung des Volks, in dem sie entstanden sind, und auch desjenigen, von dem sie übernommen sind, darbieten7). Für das Studium des Aberglaubens liegt die Bedeutung der Volks-Sagen natürlich eben in jenen hervorstechenden Anschauungen, welche sich in den Vorstellungen von übersinnlichen Wesenheiten und Kräften und Vorgängen und Vorfällen verdichtet haben und welche oft in abergläubischen Ideen und Bräuchen haften geblieben sind. Dabei ist jedoch zu beachten, dass durchaus nicht alle Sagen, die sich in deutscher Überlieferung finden, ursprünglich aus deutschem Geiste hervorgewachsen, sondern nicht wenige erst im MA. und noch später aus der Fremde eingewandert sind und dass es ausserdem viele gibt, welche des Volks- und Zeitgepräges überhaupt entbehren. In diesem tritt wiederum eine besondere Ähnlichkeit zum Märchen zutage, indem in diesen Sagen die primitiv-schöpferische Phantasie einfache Erlebnisse einer Volksschicht gestaltet. Mit Recht sagt daher Ranke8): ªEs ist noch niemandem gelungen und wird bei der Dürftigkeit unserer Überlieferungen aus dem deutschen Heidentum kaum je gelingen, auch nur eine einzige der heutigen Volks-Sagen mit Sicherheit als zum Erzählungsschatz der noch unbekehrten deutschen Stämme gehörig zu erweisen´. Von irgend welchem rein volkstümlichen Denken und Empfinden legt jedoch die Sage stets Zeugnis ab.

 

  1. Entstehung der Sage

     

 Unter allen diesen Voraussetzungen darf man behaupten, dass die Sage das Archiv der Urgeschichte eines Volks ist und sohin Untergrund dessen, was als Aberglaube erscheint nicht etwa erst später sondern, wie gleich näher beleuchtet wird, gleichzeitig mit der Entstehung der Sage, die häufig noch aus dem Felsgestein des Aberglaubens gebildet wird. Etwas kühner nennt man die Sage selber dramatisierten Aberglauben´. Folge des hiermit bezeichneten Verhältnisses ist, wo es sich um älteste Sagenüberlieferung handelt, dass aus verblassten, abgeschobenen Sagen sich ein Rückstand abergläubischer Vorstellungen erhält.

Dies ist namentlich bei Lokalsagen der Fall, die in der Regel Natur- oder Geister-Sagen sind, die sich an irgendwelche auffallend geformte Felsen, erratische Blöcke, Schluchten, seltsame Pflanzen oder Steinbildungen, Irrlichter, Nebelmassen, Gewitterwolken usw. ingleichen an die lokale Geschichte und deren Erzeugnisse, Ruinen, Trümmer u. dgl. anschliessen, um das in ihnen den menschlichen Sinnen entgegentretende Ungewöhnliche in einem prägnanten Zuge zu erfassen. Aus der nachbarlichen oder geschäftlichen Berührung mit jenen Erscheinungen erwächst, wie die Brüder Grimm es ausdrücken, eine Art inwendiger Verbindung, die sich auf die Eigentümlichkeit eines jeden dieser Gegenstände gründet und zu gewissen Stunden ihre Wunder zu vermehren berechtigt ist. Derartige Sagenbildung ist durchaus nicht in der Gegenwart erschöpft, sondern vollzieht sich andauernd weiter.

 

Naturdeutende Sagen sind in höchster Mannigfaltigkeit in aller Welt zu finden, denn die Natur fordert immer wieder zur klärenden Bearbeitung ihrer Prozesse auf. Nicht selten gehen sie aus den bereits gefügten Formen des Aberglaubens hervor oder benützen eine solche, um den Begebnisstoff zur Sage zu formen. Manchmal sind es ganz einfache Erklärungen einer solchen Erscheinung, manchmal ätiologische Umdeutungen. Wenn Glühwürmer zu wirklichen Lichtern werden, mit denen zwergische Wesen spazieren gehen, ist ersteres der Fall; letzteres etwa in der Sage vom Homberg: Wer sein Ohr an ihn legte, konnte drinnen die Zwerge klopfen und hämmern hören; denn viele von ihnen sind vorzügliche Schmiede. Die Bauern haben ihnen früher oft einen Pflug oder sonst ein Gerät vor ihre Höhle gelegt, die sie am nächsten Morgen ausgebessert vorfanden. Dafür legten sie ihnen ein Geldstück oder einen Pfannkuchen hin. Nun hat sie aber mal der Hüggelmeier geprellt, indem er weniger als verlangt war hinlegte und mit dem ausgebesserten Pflug davonraste. Aber ein glühendes Eisen schoss hinter ihm drein heisst es hier, und nicht, dass seitdem die Zwerge den Menschen nichts mehr ausbesserten was häufiger Schluss ist, um den Wandel der Zeiten begreiflich zu machen.

 

Sonst nämlich wird die Ätiologie nicht nur auf den Anfang sondern auch auf das Aufhören einer seltsamen Erscheinung bezogen; man denke an die vielen Geschichten von geneckten oder getäuschten Zwergen. ñ Oder es soll erklärt werden, wie ein ungeheurer Steinblock mitten in einem Wald oder Feld steht, den kein Mensch dorthin gebracht haben kann: dann war es ein Riesenwurf. Und es wird weiter gefragt, weshalb der Riese den Wurf tat; vielleicht um jemanden zu bestrafen, der ihn beleidigt hatte; oder der betreffende Riese wird mit dem Teufel identifiziert, der an Gott Rache nehmen wollte, indem er die Kirche des Dorfs bewarf; aber natürlich verfehlt der Teufel das Gotteshaus ….

 

Solche Natur-Sagen entstehen immer neu. Märkische und schlesische Schäfer, von Ort zu Ort und von Provinz zu Provinz ziehende Müllerburschen, Brauer- und Schmiedegesellen haben sich als Bringer neuer Sagen einen Ruf erworben gehabt. Eine Grippenepidemie erzeugte durch Ausdeutung eines lange anhaltenden üblen Geruchs eine neue Sage vom Pesträuchlein. Eine andere ganz moderne Grippen- Sage erzählt, ein Bursch machte einen Babautsch (menschliche Figur) und sprach: Das ist jetzt die Grippe, aber wir wollen tanzen, uns soll sie nicht unterkriegen. Sieben der jungen Leute sollen nun bald gestorben sein, weil sie mit so ernsten Dingen Spott getrieben.

 

Ausdeutungen von menschähnlichen Gestalten in Gemäuer wird, nachdem die alten Deutung in Vergessenheit geraten, neuerdings zur Sage von einer neugierigen und eingemauerten Nonne gestaltet; und zwar, obgleich die geschichtliche Unmöglichkeit von vornherein auf der Hand liegt, da an der Stelle nie ein Frauenkloster gestanden hatte.

    In beiden Fällen lässt sich eine das Tatsächliche sehr entstellende Phantasietätigkeit bemerken, bisweilen auch krankhafte Phantasie. Z.B. der in zahlreichen Varianten wiederkehrende Schimmelreiter, schon von Uhland für ein Nebelwesen gehalten, erscheint einem Mann aus Stockach bei Tübingen, der mit seinem Sohn vom Markt heimkehrt, als kopfloser Reiter (NB. der Nebel macht selten die genauere Kopfform möglich in seinen Schwaden); die beiden fallen den Berg hinunter und können nicht wieder heraufkommen, fanden sich aber an einem grossen Wasser, an dem der Schimmelreiter auf und ab jagte, bis er darüber hinreitend verschwand.

 

    Allein diese Betrachtung darf nicht zu der Verallgemeinerung verleiten, dass alle Sagengestalten, zumal die grotesken, Phantasieerzeugnisse seien, d.h. phantastische Umdeutungen von Naturbegebenheiten. Gerade der Schimmelreiter vieler Sagen wird wohl mit Recht von Forschern für Umsetzung einer alten mythischen Glaubensgestalt in die Sagengestalt gehalten, etwa Wotans.

 

Hat doch die gewaltsame Ausrottung des alten Glaubensgutes um die Wende vom 8. zum 9. Jh. die alte Göttermythe genötigt, ihre Zuflucht in der Sage zu suchen. Eine alte Chronik berichtet, Karl der Grosse habe durch die Schreibermönche alle alten Sagen und Lieder der deutschen Volksstämme sammeln und aufschreiben lassen; aber plötzlich sei ein gewaltiges Brausen entstanden, das die Mauern erzittern machte, und die emporlodernde Glut habe die herrlichen Sagenschätze in Wotans wildes Heer hinaufgeschleudert, wobei eine Stimme zu vernehmen war: „Du hast unser Volk erschlagen, das freie Geschlecht der Sachsen vernichtet, uns aber sollst du ewig nicht in deinem Joche bannen!“.  Auf Grund unsrer Kenntnis von Kaiser Karls Absicht wird angenommen, dass jene Chronik das an den Sagen begangene Zerstörungswerk Ludwigs des Frommen auf jenen überschrieben habe. Jedenfalls enthält die Sage auch in diesen mythischen Umbildungen nicht reine Phantasieerzeugnisse; wozu vgl. den Artikel Mythologie, Mythos.

 

Dass andererseits krankhafte Phantasie starke sinnbildende Kraft entfaltet hat, darauf hat Ranke hingewiesen. Insbesondere kommen hierfür die Sagen von Luftentrückungen in Betracht, die nach Ranke an Erlebnisse auf psychopathischer Grundlage gemahnen.

 

Der typische Verlauf solcher Sagen aus Süddeutschland, der Schweiz und Österreich lässt einen einsam wandernden Mann dem tobend heranziehenden wilden Heer begegnen, von dem er, weil er sich ihm entgegenstemmt, oder ihm zuruft, in die Luft entführt wird, so dass er erst nach langer Zeit in die Heimat heimkehrt. Ein Mann erzählt, auf seinen Anruf hin sei er von der furchtbaren Gewalt des Wirbelwindes fortgerissen worden. Als der Tag gebleicht, sei er zu sich gekommen und habe sich mitten in wildem Gebirge befunden. Die drei Tage seitdem habe er zur Heimkehr ins Dorf gebraucht. „Der Knecht lebt noch und ist jetzt Hirte in Stützheim“. Die spezifischen epileptischen Dämmerzustandsreisen geben ganz ähnliche Erlebnisse. Daher: „Die Sagen von der Luftfahrt mit dem wilden Heer sind weder Überbleibsel aus dem Erzählungsschatz des germanischen Heidentums, wie etwa Grimm und vor allem Simrock das wollten; der Wundermantel, auf dem Odin seinen Liebling Haddingr durch die Luft über Land und Meer in die Heimat trägt, die Luftreise mit Teufels Hilfe, durch die Heinrich der Löwe, Thedel v. Walmoden und andere Sagenhelden gerade zur rechten Zeit zur Gattin zurückkehren, haben mit unsrem Motiv direkt nichts zu tun oder brauchen wenigstens nicht herangezogen zu werden, wenn wir die Entstehung unseres Motivs begreifen wollen.

 

 Noch weniger stammen diese Sagen aus jener noch viel älteren Periode primitivsten Denkens vor aller Göttervorstellung und geben etwa in naiver Auffassung am Himmel beobachtete Ereignisse wieder, wie Wilh. Schwartz und Elard H. Meyer das vermuteten, sondern es handelt sich hier um rein individuelle Erlebnisse, bei deren Apperzeption und Formgebung die alten Vorstellungen das Erfassungs- und Darstellungsmittel sind.

 

Auch die Sagen von Begegnungen mit dem Aufhocker, dem Huckup, der nachts dem einsamen Wanderer auf die Schulter springt und sich tragen lässt, bis der Träger atemlos und verängstigt unter der Last zusammenbricht, wie manch andre Sage aus solcher Nähe des Spukreichs ist einer krankhaft erregten Phantasie zuzuschreiben, die ihr Erzeugnis als Wirklichkeit hinstellt. Die Psychopathologie hat auch ihr Wort zu sprechen über die schwere Last, die dem Menschen vom wilden Jäger aufgebürdet wird und durch die er einen Buckel bekommt, von dem er „wann eben der psychische Zustand sich ändert  befreit wird.

 

Es ist ein ausgesprochener Erlebnischarakter, ein Gesichts-, Gehörs- oder Riecherlebnis, das der Sage in solchen Fällen zugrunde liegt. Das Erlebnis wird aber mittels aller möglichen vorhandenen Anschauungs- und Vorstellungskomplexe angeeignet, daher mit Zügen aus einfacher Umgebung, aus der nächtsbekannten Geschichte, aus der Religion und Magie, aus Mythus und Fabelreich ausgestattet; und wenn das schon am Anfang der Bildung einer Sage geschieht, wie viel mehr erst während ihres Ganges durch ein Volk, durch Völker und durch Zeiten!

 

  1. Wanderung und Weiterbildung der Sage

 Zunächst ist zweifellos eine fort und fort weitergeführte Abwandlung der Einzelzüge einer und derselben Sage beim blossen Weitererzählen festzustellen. Das Ergebnis dieses Prozesses kann sein, dass sämtliche Einzelzüge variiert werden. Daher ist anzunehmen möglich, dass Sagen, die auf den ersten Blick verschwindende, immerhin aber doch einige schwach gemeinsame Züge aufweisen, dennoch desselben Ursprungs sind und Varianten einer Urform der betreffenden Art bedeuten. Wenn ein historischer Name mit dem Kern der Sage verbunden ist und bleibt, so ist es leicht, die Verwandtschaft zu erkennen, ist ihre Leugnung kaum durchzuführen; wie z.B. bei den jüdischen, arabischen und deutschen Formen der Erzählung vom Besuch der Königin von Saba bei Salomo.

 

 In anderen Fällen rückt das Fehlen solchen gleichen Kerns die Wahrscheinlichkeit gemeinsamen Ursprungs in die Ferne und möchte trotz strengster Ähnlichkeit in markanten Strichen auf verschiedenen Entstehungsort und – modus geschlossen werden. Ein Problem dieser Art gibt die Materie des Tell-typus auf.

 

 Es bleibt unverwehrt, die aus dem 12. Jh. bekannte persische Form, nach der ein König seinem Lieblingssklaven öfters einen Apfel auf den Kopf legte, um ihn herabzuschiessen, worauf der Sklave jedesmal die Angstneurose bekam, mit der norwegischen aus dem 13. Jh. zusammenzunehmen, nach welcher König Nidung von Eigil die Schussprobe abverlangt, vom Kopf seines dreijährigen Söhnchens einen Apfel abzuschiessen; Eigil, der drei Pfeile zu sich genommen, antwortet dem König auf die Frage nach dem Zweck der beiden anderen Pfeile, nachdem er mit dem ersten den geforderten Schuss getan (ganz wie Teil dem Landvogt), dass diese Pfeile dem König für den Fall eines Fehlschusses zugedacht waren. Ferner gehört eng dazu die dänische Fassung, nach der König Harald, der in dem von ihm selber provozierten Wettschiessen unterlag, daraufhin von seinem Rivalen verlangt, dass er eine Haselnuss vom Haupt seines Bruders schiesse, was glücklich ausgeführt wird. Eine andere Form begegnet in England, eine weitere ist die von Puncher aus der Heidelberger Gegend, der in Bezug auf den zweiten Pfeil die Tellantwort gibt.

 

Kommen wir hier auf einen altarischen Sagenkorn oder Sagenkreis? Ist solcher Untergrund auch vorhanden bei dem Variantenkreis der treuen Weiber von Weinsberg? Die ohne Schwierigkeit zu bejahenden Fälle solcher Art zeigen eine ausserordentliche Wanderfähigkeit der Sagen. Andere hingegen, welche die Bejahung jener Frage erschweren oder ablehnen möchten, wollen als Beiträge zum Elementargedanken gewertet werden.

 

Bieten Sprach- und Volksgrenzen dem Wandertriebe der Sage keinen Halt, so muss gleichwohl in jedem einzelnen Falle gesondert die Frage aufgeworfen werden, ob die betreffende Sage mit diesem Inhalt und in dieser Fassung nicht doch selbständig aufgetreten sein könne. Denn was einmal als Erzählungsstoff geboten wird, kann auch mehrere Male aufscheinen, da ja auch die Anlässe zur Bildung eines Sageninhaltes sich wiederholen können. Ähnliche Situationen helfen vor allem einer Sage, die entscheidenden Blick ins Volksleben wirft, zur Auferstehung. Indem auch so Sagenstoffe wandern und sich verändern, entschwinden und neu erstehn, werden auch ihre mythischen Bestandteile abgewandelt. Aus Göttern werden Helden oder umgekehrt aus Heroen Götter, aus den drei germanischen Schicksalsgöttinnen z.B. drei weisse Jungfrauen, die unter drei Gesichtspunkten bevorstehendes Geschick künden in der ins Jahr 1832 verlegten Sage von der Begegnung des Försters im Hartwalde bei Karlsruhe mit den drei weissen Gestalten. Ebenso ändern sich die Personen und die Örtlichkeiten, wenn die Sage sprungweise in verschiedenen Gegenden bekannt wird. Dabei wird sie unter Umständen in allen ihren Teilen neu geprägt, wobei das Bewusstsein von ihrem früheren Vorhandengewesensein verloren gehen kann. In diesem Sinn spricht man auch vom periodischen Auftreten der Sage31).

 

  1. Die Einteilung der verschiedenen Arten von Sagen

 

 ist mittels mehrerer Prinzipien versucht worden. Die äusserlichste nach Landschaften ist genötigt, dieselbe Sage oft zu wiederholen, macht jedoch dadurch die Verbreitung einzelner Sagen ebenso wie den Einfluss der geographischen Eigentümlichkeiten bei der Stoffgestaltung besonders anschaulich. Dem Bedürfnis nach Anschaulichkeit dienen vor allem die Sammlungen der Sagen nach Landschaften und Ländern. Der Versuch einer chronologischen Anordnung und Gruppierung stösst naturgemäss auf die grössten Widerstände, und die Brüder Grimm haben sich gegen die chronologische Gruppierung ausgesprochen; zugleich gegen die sachliche. Sie beobachteten, dass eine Einteilung in Zwergen-, Riesen-, ätiologische usw. Sagen deshalb daneben schiessen müsse, weil in fast jeder Sage die verschiedenen dabei als Einteilungsgründe benützten Elemente verwertet und miteinander verwachsen sind.

 

Wehrhan meint dagegen, dass doch in jeder die Hinneigung zu einer der so entstehenden Gruppeneigentümlichkeiten vorschlage.

Den kritischen Einwendungen nach der einen und anderen Seite sucht Meiche durch folgende Einteilung zu entgehen: Hauptteile mythische und geschichtliche Sagen (denen als 3. Hauptteil die romantische oder literarische angereiht wird, die jedoch für die eigentliche Sagenforschung von weniger ausschlaggebender Bedeutung ist). Die mythischen Sagen teilt Meiche nach den darin hervortretenden Geistwesen oder, wo solche fehlen, nach Begebnissen und dinglichem Gegenstand und erhält die 6 Teile:

 

  1. Seelensagen
    (a) Körper und Seele, b) Seelenheer und Geisterkämpfe, c) bergentrückte Geister, d) Tiergespenster, e) Gespenster in Menschengestalt, f) Spuksagen, Poltergeister, g) Irrwische, Feuermänner, Druckgeister, Binsenschnitter.
  1. Elbensagen
    (a) Hausgeister, b) Luft- und Erdgeister, c) Wald- und Feldgeister, d) Wassergeister).
  1. Dämonen- und Göttersagen
    (a) Tierdämonen, b) Bergdämonen, c) Winddämonen, d) Riesen, e) Götter).
  1. Teufelssagen
    (a) der Teufel, b) Teufelsbündnisse, c) Zaubersagen). 5. Wundersagen. 6. Schatzsagen (a) Glocken- und b) eigentliche Schatzsagen).

Die geschichtlichen Sagen teilt M. in

  1. Landesgeschichtliche
    (a) aus der Urzeit, b) aus religiösen Bewegungen, c) aus Kriegsnöten, d) aus Fehdetagen, e) aus den Tagen der Pest).
  1. Ortsgeschichte
    (a) Sagen von Gründung und Benennung von Orten, b) Bergbausagen, c) Sprungsagen, d) Steinkreuzsagenn, e) Bausagenn, f) Handwerkssagen, g) Spottsagen, h) Verschiedenes).
  1. Familiengeschichte
    (a) Geschlechter-, Helden- und Schilds.n, b) Sagen über einzelne Personen).

    Mit diesem Schema könnte vielleicht der Versuch Wundts überholt erscheinen, der aus der Entwicklungsgeschichte der Sage drei Stufen herauslesen will, die Orts- und Stammessagen, die Helden- und, aus ihr hervorgehend, die Göttersagen als aufsteigende Formen; so jedoch, dass die niederen Formen nicht aussterben, wenn die höheren entstanden sind, in ihrem allgemeinen Erzählungsgang aber deutlich gegenübertreten, anderseits Orts- und Stammessagen dauernde Bestandteile auch der spätesten Sagenbildung bleiben.

 

Indessen wird es gerade eine Aufgabe zukünftiger Sagenforschung sein, die von Wundt betonten Momente zwecks des Verständnisses der zeitlichen Aufeinanderfolge der hauptsächlichsten Grundformen der Sage zur Geltung zu bringen, ihnen näher nachzugehen und zu erkennen, was daraus folgt, dass der Örtlichkeitsfaktor in der ganz überwiegenden Zahl der Sagen ein ausserordentliches Übergewicht besitzt. Wenn man unter diesem Eindruck in die lokal bestimmte geistige Urzeit des Volks zurückzugehen trachtet, so erscheinen Seelen- und Geistersagen (die irgendwie von Tod und Verstorbenen handeln, und ätiologische Stammes- und Ortssagen im Vordergrund. Diese beiden Gruppen liessen sich etwa als Natur- und Kulturs.n aufteilen, falls man gewillt ist, die Gespenstersagen ebenso wie die Dämonensagen zu ersteren zu rechnen (was aber oft auf erhebliche Schwierigkeit stossen wird). Ganz wird man freilich um eine Kreuzung nach diesen beiden Gesichtspunkten nicht herumkommen, ohne zu andern unliebsamen Wiederholungen und unglücklicheren Überschneidungen genötigt zu sein.

 

 

  1. Hauptsagen; Helden- Natur- und Kultursagen

 

Wenn man sich nun einige Hauptgestalten an Beispielen verdeutlicht, so lassen bereits die Sagen der Primitiven erkennen, wie leicht, ja wie wesenhaft sich mit der Natursagen die Elemente der Kultursagen. und der Heldensagen verbinden.

 

Nehmen wir die ganz einfache Sage von dem Mann, der ein Licht auf der Stange trägt und damit den Mond anzündet, der seitdem vorhanden ist und allabendlich angezündet wird, so sieht man das Ineinandergreifen der genannten Momente in solchen einfachen erklärenden Sage Dasselbe ist bei den ätiologischen Sagen der Fall. Wird ein grotesker Fels oder Baum damit erklärt, dass er der Überrest eines gewaltigen halbmenschlichen-halbtierischen Wesens ist, eines Urfahren eines Klans des Stammes, dem der Klan seine Existenz und sein Wissen samt seinen Fähigkeiten verdankt, so bewegen wir uns bei der Apperzeption dieser Vorstellungen zwischen Natur- und Kultur-sowie zwischen Dämonen-, Helden- und Götters. Die Neugestaltung solcher Sage von einfacherer Art erfuhr ich, als ich mich mit einem Arussi-Galla im südlichen Abessinien über die Sitte seines und aller Nachbarstämme, nur rohes Fleisch zu geniessen, unterhielt; er sagte mir, das Feuer habe erst sein Grossvater über die Berge von Süden her geholt; und seine umstehenden Landsleute schienen das zu bestätigen. Natürlich ist der Gebrauch des Feuers dort viel älter.

 

 Die Ätiologie ist die häufigste Form der Orts- und Stammessage, welche selber die ursprünglichste Weise aller Sagen zu sein scheint. Man fragt nach dem Woher auffallender Erscheinungen der Umgebung, mächtiger Bauten, der steinumrandeten Gräberstätten, die nicht als solche erkannt sind, des singenden Tons oder Glockenklingens auf Meeresgrund (Untergang von Städten wie Vineta) und weiss bisweilen auch etwas über die Veranlassung solchen Geschehens zu sagen.

Bei bedeutenderen Örtlichkeiten pflegt die Idee des Unheimlichen, des Zauber- und Spukhaften stärker zu werden. Weiter erscheinen als Träger des Unheimlichen die Inhaber gewisser Berufe, die aus alter Vorstellung her mit Teilen der Geisterwelt in besonderer Berührung stehn: der Schmied, der Bergmann, der Glaser. Der erste hat zu Gegenspielern gern Zwerge und Kobolde, die beiden anderen den Berggeist, den Rübezahl, der Jäger den Waldschrat. Falls aber das Unheimliche nicht in dieser Weise personhaft oder an einen Dämon gebunden ist, ist der bestimmte Ort durch es ausgezeichnet oder ein dort befindlicher einzelner Gegenstand. Natürlich pflegt eine solche Ortssagen den lokalen Charakter darin zu bewahren, dass sie in der Regel auf das begrenzte Gebiet der Umwohner des als unheimlich empfundenen, verrufenen Orts beschränkt bleibt. Der Inhaber der (guten oder bösen) übermenschlichen, unheimlichen Kraft ist zunächst streng lokal gebunden, tritt jedoch bisweilen in die Weite hinaus. Die den fleissigen Zwergen zugehörigen Schmiede haben an der leichten Beweglichkeit des Zwergengeschlechts teil (vgl. die wandernden, plötzlich an anderem Ort auftauchenden „Venediger“- Zwerge). Der „Schuhmacher“ im Wetterloch oder in der Felsenhöhle (nord. Schuhschmied). Sohlenhämmernd, war er vielleicht Anlass zum „ewigen“ und wiederkehrenden Schuster, der dann die Wolkenschuhe über die Erde trägt.

 

    Unter den Stammessagen haben die Abstammungssagen lange Zeit eine besondere Rolle gespielt. Diese lassen sich bis in die primitivsten Urfahrensagen hinaufverfolgen; diese letzteren wiederum nehmen gern die Gestalt von Wandersagen an. Schon da sind es stets irgendwelche Erlebnisse, die in die sagenhafte Erzählung gekleidet werden: wir haben es mit der Erlebnissage. zu tun. Ein anderes Beispiel einer solchen ist die Pestsage, eine reine Ortssage, in der der Pestdämon oder -drache die Hauptgestalt ist, während der von ihm gepeinigte Mensch ohne jegliche Individualbedeutung ist: nicht der einzelne Erlebende, der ja nichts vom Gewöhnlichen Abweichendes erlebt, sondern das Erlebte allein wird durch die Sage betont. Selbst eine Natursage wie die von der Prinzessin Ilse, die allmorgendlich mit dem ersten Sonnenstrahl hervortritt, sich im Flusse zu baden, gehört hierher;

 

Erleben und Wunsch mitsammen fügen die Erzählung. Hier wie in den Sagen von der Albin Frene, von Ursula, in den Alpsagen wird selbst die dämonische Gewalt als die ungenannte geheimnisvolle finstre Macht eingeführt, wie es in der Primitivzeit üblich war. Z.B. die Kuh wird im Stall während der Nacht getötet und wiederbelebt, da sie in ermattetem Zustand daliegend angetroffen wird; das Pferd ist vom Alp abgehetzt worden. Was der Mensch an Druck- und Erschöpfungszuständen an sich erfahren hat, das überträgt er hier auf das Vieh. Es ist verständlich, dass man den Alptraum und das Erwachen aus ihm als Sterben und Rückkehr ins Leben schildert. Drum steht so auch in manchen Sagen der Mensch selber als der Getötete und Wiederbelebte da. Wenn Hexen aus dem Mädchen im Walde ihre Speise kochen und das Mädchen nach der Wiederbelebung nicht wieder ganz frisch wird, sondern dahinwelkt41), so wird das von vielen wohl mit Recht auf ein ªTraum´-Erlebnis gedeutet, d.h. auf ein unbewusstes Erfahrnis von etwas innerlich Strukturiertem, und erinnert an die von Primitiven als böse, schwarze Magie gedeutete Erfahrung des schnellen Hinsiechens, das auf Fett- und Lebenssaftentziehung seitens des schwarzzaubernden Feindes beruhe42). Die Betontheit dieses Moments in der Sage beleuchtet das reiche Material davon in den Menschenfresser-, Blutsauger-, Vampir-, Martensagen. Das entgegengesetzte Motiv kommt dagegen zur Geltung in den Sagen von den Nachtweiblein, die spinnend nächtlicherweile des Menschen Tageswerk zu Ende führen; vom Klabautermann, der auf dem Schiff wie die anderen Kobolde im Hause dem Menschen Arbeit abnehmen; von den kleinen und wilden Leuten, den Moos- und Holzleuten, Wichteln und Fanggen, Saugen und Wasserleuten usw. Die alle sind durch die Völker hin in ähnlichen Formen verbreitet. Die von ihnen handelnden Sagen lassen sich im wesentlichen als Erlebniss.n bezeichnen, in denen das ‹bergrosse, Gewaltige, Unsinnlich-Unheimliche von aussen in die menschliche Sphäre hineintretend erlebt wird, worauf dies Erlebnis in seiner Erzählungsform anschaulich festgehalten wird.

 

 In den Heldensagen, die später aufgetreten sind, und deren Ausbildung wir besonders in Griechenland, Eran, Indien, Babylonien, bei den Kelten, Finnen, Germanen und Russen verfolgen, wird das Gewaltig-Unheimlich-Übergrosse als innerhalb der menschlichen Wesenssphäre vorhanden geschaut und in der Gestalt des Helden erblickt und geehrt. Den Hintergrund dieser Heldensagen bilden in der Regel nationale Kämpfe und Wanderungen (vgl. die nordischen Wandersagen), Staaten- und Städtegründungen und -zerstörungen, die oft hinüberführen und auslaufen in die langen Irrfahrten (Odysseen) des Haupthelden und seiner Getreuen. Der historische Rahmen, der durch jenen Ansatzpunkt geliefert wird, ist von Anfang durch den auf das Historische abschwächend wirkenden mythisch-poetischen Kern gesprengt: der Held wird zum Heros gestempelt, und schon seine Geburt und Kindheitsentwickelung weisen übernatürliche Züge auf. Dadurch ist nicht etwa schon eine Richtung auf den Kultus der Person hin gezogen. Wohl aber will der Hörer der Sage im Helden und in den Helden zugleich eine Begegnung mit der übersinnlichen Sphäre haben. Dass die Sage solcher Art einem religiösen Bedürfnis entspricht, ist nicht zu leugnen; das religiöse Gut tritt dann aber schon in jener Form auf, welche dem Aberglauben zugerechnet wird; stark gezeichnet in den Berserkern, die deshalb auch in der Sage, wo sie sich sehen lassen, keine Nebenrolle spielen. Doch welch eine Verschiedenheit zwischen der Odyssee und dem Nibelungenlied, gerade in dieser Hinsicht, und dann wieder zum Mahabharata! Man darf sagen, dass unter diesen drei Sagen die deutsche am wenigsten Magisches aufweist und die Beziehung zur unheimlichen Sphäre am schwächsten betont. Allerdings welcher Unterschied wiederum zwischen dem Hildebrandlied und Jung Siegfried! Die sich ausbildende Sagenrichtung hat indessen in den nordischen Sagas gewisse Vorläufer.

 

Auszüge aus: Sage. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Sage 20643

(vgl. HWA Bd. 7, Sage 871 ff.)]